Hölzerner Motorwagen
Von Stephan Hloucal
Inhalt
Historischer Hintergrund
Die Arbeiten in der Landwirtschaft wurden über Jahrhunderte im Wesentlichen durch tierische und menschliche Muskelkraft erledigt.
Im 19. Jh. machte die Eisenbahn die einheimische Kohle überall leicht verfügbar, sodass im Zuge der Industriellen Revolution zunächst Dampfmaschinen zur Arbeitserleichterung auf dem Lande beitrugen. Lokomobile konnten größere Dreschmaschinen antreiben und die Ochsengöpel bzw. den Dreschflegel ersetzen.
Zu Beginn des 20. Jh. begann die Elektrizität das landwirtschaftliche Leben und Arbeiten zu revolutionieren. Neben elektrischer Beleuchtung kamen zunehmend elektrische Antriebe zur Anwendung.
Motorwagen auf der Ausstellung Erlebnis Industriekultur
Aus unserer Sammlung Antriebstechnik zeigen wir in der Impulsausstellung Erlebnis Industriekultur - Innovatives Thüringen seit 1800 in Pößneck, anlässlich des Themenjahres 2018 Industriealisierung und soziale Bewegungen, einen hölzernen Motorwagen, den wir 2013 in Gebesee nördlich von Erfurt bergen konnten.
Er wurde nach einer Holzwurmbekämpfung im Fundzustand belassen, also auch so in der Pößnecker Shedhalle präsentiert. Bis auf den fehlenden Drehstromzähler ist er komplett und original erhalten. Dass er viele Jahrzehnte im Einsatz war, ist ihm natürlich anzusehen.
Sehr wahrscheinlich ist, dass ein lokaler Stellmacher den Holzwagen gebaut und der ortsansässige Elektromeister den 10 PS Drehstrommotor mit Anlasser, Schalter, Sicherungen, Ampermeter, Elektrizitätszähler, sowie Lichtschalter und Steckdosen für Beleuchtungszwecke, darin installiert hat.
Direkt auf der Motorwelle sitzt ein hölzernes Flachriemenrad, welches seitlich aus dem Wagen herausragt. Darauf wurde dann der teilweise über 20 m lange lederner Treibriemen bis zur Dreschmaschine aufgelegt. Im Wagen liegt übrigens noch ein Stück Riemenpech, mit dem im Bedarfsfall die Haftung des Flachriemens verbessert werden konnte.
Im hinteren Teil des Wagens befindet sich ein 50 m langes Stromkabel, welches über einen Kragenstecker mit dem Niederspannungsdrehstromnetz (380 Volt) verbunden werden konnte. Es gibt Berichte, demnach auch mittels langer isolierter Stangen das Elektrokabel direkt an die drei Phasen der 380 Volt Freileitung angehängt werden konnte!
Der 10 PS Drehstrom - Asynchronmotor wurde von der Bergmann-Elektricitätswerke AG Berlin etwa um 1915 gebaut. Der Firmengründer Siegmund Bergmann war übrigens im Thüringischen Tennstedt gebürtig.
Vor allem Kleinbauern konnten sich anfangs keine stationäre Dreschmaschine leisten und waren auf Nachbarschaftshilfe angewiesen. In der Ernteperiode fuhren Dreschmaschine und Motorwagen von Hof zu Hof, und falls ein Landwirt noch keinen eigenen Stromanschluss hatte, dann konnte mit dem langen Kabel bestimmt der Nachbar helfen oder in der oben beschriebenen Weise durfte auch mal die Freileitung auf der Dorfstraße angezapft werden. Die verbrauchten Kilowattstunden wurden vom internen Drehstromzähler festgehalten und konnten so korrekt abgerechnet werden.
In den kommenden Jahrzehnten wurden Elektromotoren preiswerter, sodass sich Einzelantriebe an stationären Dreschmaschinen durchsetzten, die dann auch in den Scheunen kleinerer Bauernhöfe installiert wurden. Die Motorwagen wurden nicht zuletzt durch die modernen Mähdrescher arbeitslos und irgendwo abgestellt. Nur wenige sind erhalten geblieben.
Fachbücher aus unserem Archiv weisen solche elektrische Antriebslösungen für die Landwirtschaft nach 1900 aus, so z.B. Elektrizität und Landwirtschaft, O. Kirstein, Verlag von Georg Siemens, Berlin 1904.